Eine Woche Später Poem by Wolfgang Steinmann

Eine Woche Später

Eine Woche später sagte ich zu einem Freund: darüber
werde ich wohl nie schreiben können.
In einem Jahr kann ich vielleicht darüber schreiben.
Irgendetwas steckt in mir, worüber ich vielleicht eines Tages
schreiben kann; aber für heute ist es gefaltet, gefaltet
und wieder gefaltet, wie ein Spickzettel. Und in meinem Traum
spielte jemand mit Würfeln und ein riesiger Würfel
hing in der Luft, verkantet, geworfen,
in Flammen. Und als ich aufwachte, bemerkte ich,
dass ich die Tage zählte, seit ich meinen Mann
zum letzten Mal gesehen hatte - zwei Jahre nur, und ein paar Wochen
und Stunden. Wir hatten gerade die Papiere unterschrieben
und standen im Parterre des Chrysler Buildings,
die unbeschreibliche Schönheit der Eingangshalle umgab uns
wie ein Königsgrab, an der Decke das kleine
gemalte Flugzeug, ein Fresco, im Flug. Und es flog
an diesem Morgen geradewegs in mein beengtes Herz,
ein bisschen ungezähmt und scheu,
als habe es Angst, empfinde eine Fülle
und Freude in seinem täglichen Leben,
die ich nicht kannte, nicht sehen, nicht
hören, nicht erfassen konnte - und doch
bekannt, gesehen, gehört, erfasst. Und mir wurde klar,
für den Bruchteil einer Sekunde nur, wieder und wieder,
dass ich mich für ihn freute, dass er jetzt mit ihr war,
die, seiner Meinung nach, für ihn bestimmt war. Und ich dachte
an meine Mutter, Minuten vor ihrem Tod, fünfundachtzig
Jahre nach ihrer Geburt, ihre Rotmücken-gleichen
Schulterblätter under meinen Fingern, ihr
Kopf, zerbrechlich wie ein rohes Ei, so lag sie, zufrieden
möchte ich sagen, in ihren sauberen Laken, und ich konnte ihr
ein bisschen von meiner armen, unvollkommenen Liebe erzählen,
konnte sie damit ausklingen lassen, und konnte die Erfüllung, den Glanz dieser Stunde sehen.

This is a translation of the poem A Week Later by Sharon Olds
Saturday, November 19, 2016
Topic(s) of this poem: loss,lost love
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