Die Gespenster Poem by Gotthold Ephraim Lessing

Die Gespenster

Der Alte
O Juengling! sei so ruchlos nicht,
Und leugne die Gespenster.
Ich selbst sah eins beim Mondenlicht
Aus meinem Kammerfenster,
Das sass auf einem Leichenstein:
Drum muessen wohl Gespenster sein.

Der Juengling
Ich wende nichts dawider ein;
Es muessen wohl Gespenster sein.

Der Alte
Als meiner Schwester Sohn verschied,
(Das sind nunmehr zehn Jahre!)
Sah seine Magd, die trefflich sieht,
Des Abends eine Bahre,
Und oben drauf ein Totenbein:
Drum muessen wohl Gespenster sein.

Der Juengling
Ich wende nichts dawider ein;
Es muessen wohl Gespenster sein.

Der Alte
Und als mein Freund im Treffen blieb,
Das Frankreich juengst verloren,
Hoert seine Frau, wie sie mir schrieb,
Mit ihren eignen Ohren
Zu Mitternacht drei Eulen schrein:
Drum muessen wohl Gespenster sein.

Der Juengling
Ich wende nichts dawider ein;
Es muessen wohl Gespenster sein.

Der Alte
In meinem Keller selbst gehts um.
Ich hoer oft ein Gesause;
Doch werden die Gespenster stumm,
Ist nur mein Sohn zu Hause.
Denk nur, sie saufen meinen Wein:
Das muessen wohl Gespenster sein.

Der Juengling
Ich wende nichts dawider ein;
Doch wuenscht ich eins davon zu sein.

Der Alte
Auch weiss ich nicht, was manche Nacht
In meiner Tochter Kammer
Sein Wesen hat, bald seufzt, bald lacht;
Oft bringt mirs Angst und Jammer.
Ich weiss das Maedchen schlaeft allein;
Drum muessen es Gespenster sein.

Der Juengling
Ich wende nichts dawider ein;
Doch wuenscht ich ihr Gespenst zu sein.

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