BARMHERZIGE SCHWESTERN Poem by Adam Zagajewski

BARMHERZIGE SCHWESTERN

Für Vater
Es war eine Kindheit, die nicht mehr wiederkehrt -
die Brombeeren so schwarz, daß sie die Nacht beneidet hat;
am schmalen Fluß standen schlanke Pappeln
wie Barmherzige Schwestern und fürchteten sich nicht vor den Fremden.
Vom Balkon sah ich die kurze Straße und zwei Bäume,
aber ich konnte auch Kaiser sein und mich berauschen
am Getöse der endlosen Divisionen meines Heeres
und am Flattern der erbeuteten türkischen Fahnen im Winde.

Ich mochte den Geschmack des Grases, zwischen den Zähnen zerrieben,
die bitteren Ahornblätter und die saure Süße
der ersten Junierdbeere im Munde.
Sonntagmorgen kochte Mama einen richtigen Kaffee
und in der Kirche rief der Pfarrer zu Demut auf.
Beim Anblick der Armen krampfte sich mein Herz zusammen.
Gelbe und blaue Länder wohnten in den Atlanten;
große Staaten schluckten kleine, aber auf den Briefmarken

sah man nur unbewegliche Adler, Zebras,
Giraffen und kleine Meisen von unbeschreiblicher Anmut.
In den verstaubten Regalen des dunklen Lädchens
türmten sich Gläser voll klebriger Bonbons,
aus denen später karmesinrote Schmetterlinge schlüpften.
Ich war Pfadfinder und lernte die Einsamkeit kennen
im Walde, wenn die Dunkelheit hereinbricht, wenn die Nachteule weint
und die Eichenstämme beunruhigend knarren.

Ich las Geschichten von Rittern, russische Märchen
und die endlose Trilogie von Henryk Sienkiewicz.
Vater baute für mich eine Miniaturmühle,
die sich schnell drehte im Gebirgsbach.
Mein Fahrrad überholte die keuchende Lokomotive,
im August schmolz die graue Stadt in der Hitze wie Eis.
Die Brombeeren so schwarz ... die bitteren Ahornblätter ...
Es war eine Kindheit, Blut und Fest.

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