Irgend Eine Nacht Poem by Wolfgang Steinmann

Irgend Eine Nacht

Sieh nur, der Eukalyptus, die Kiefern
die gelblichen Eschen, alle Bäume
sind weg; und ich war älter als
sie alle. Ich bin älter als der Mond,
älter als die Sterne, die meinen Teller füllen,
älter als die unsichtbaren Planeten, die sich
am Ende des Jahres, das niemand mochte,
aneinander drängen. Ein Jahr, das mehr als
ein Jahr war, ein Jahr, in dem die Spatzen
lernten, rückwärts in die Ewigkeit zu fliegen.
Ihre Brüder und Schwestern bemerkten es
und weigerten, sich Nester zu bauen. Ehe
die Woche vorbei ist werden sie alle ver-
schwunden sein, und das Liebesgezwitscher,
das meinen Garten belebte und jeden Abend
in meine Küche hinein tönte, wird verstummt
sein. Ich werde lernen müssen, mit den
Stimmen reinster Freude und schönsten
Schmerzes zu singen. Ich werde meinen Namen
vergessen haben, meine Kindheit, die Jahre
im kalten Griff der Zifferblätter,
damit diese Stimme, unstet und brüchig,
wieder die leichten Hügel erreicht, die einst
die Orangen beschützten. Wenn die Kälte
heraufzieht werde ich hinter dem Haus
auf der Terrasse stehen und singen, nicht
verliebt oder glücklich, nicht einmal,
um gehört zu werden. Ich werde singen,
damit die Finsternis oder was sonst noch
übrig geblieben ist, das Fallobst, das letzte
Laub, das verwirrte Eichhörnchen, das Kind,
verloren und weit weg von zu Hause, werde
mir vormachen, dies sei irgend eine Nacht. Lass
diesen Jungen, der dort, an nichts denkend,
alleine wandert oder dem Mond und den Sternen
die Namen seiner Lieben anvertraut, lass ihn
das Heim finden, das er heute Morgen hinter sich
liess, lass ihn das Gebet aus dem wütenden
Mund des Sturmes hören, lass ihn wieder
und wieder das Gebet sprechen, das Gebet,
dass auf die Nacht der Tag folgen wird, dass
nach dem Leben der Tod kommt, dass wir
im Lauf der Zeit unser Leben finden. Lass ihn
nicht sehen, dass alles vorbei ist. Lass ihn
die Finsternis lieben. Sieh nur, da rennt er
und singt sogar. Er könnte glücklich sein.

(nach Philip Levine: Any Night)

This is a translation of the poem Any Night by Philip Levine
Monday, May 16, 2016
Topic(s) of this poem: aging,hope,life and death
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