Überraschung Poem by Richard Dehmel

Überraschung



Über die grauen Dächer weg,
hoch hier oben,
durch die langen roten Nelken,
die vor meinem offnen Fenster
leise zwischen mir
und dem blauen Abendhimmel schwanken,
will mein Herzschlag
mit meiner Seele
hinaus, hinauf,

Um die höchste goldene Kirchturmkugel,
im letzten fernen Lichte,
mit hellen Flügeln,
zieht ein Taubenschwarm
eilende Kreise
über dem Hause
meiner Geliebten.

Aus dem blassen Westen
dringt der erste Stern und überflimmert
scheu den lauten Dunst und trüben Lärm
der großen Stadt hier unten,
wie der erste blinkende Traumgedanke
aus dem grauen Schwarm der Lebensfragen
in der Seele des Müden taucht -
da klopft es.

Klopft und ist auch schon im Stübchen,
sitzt mir auf dem Diwan gegenüber,
sagt kein Wort, es zittert nur ihr Atem,
nur das lose Ringelhaar,
nur die Lippen und die rote Bluse
auf dem jungen, warmen, raschen Busen;
und ich sage auch nichts.

Ihre bangen Augensterne wagen
in der stummen Dämmerung des Stübchens
hoch hier oben
einen süß beredten Evablick
nach den langen roten Nelken hin;
0, ihr Augen - -

Und ich angle nach ihr mit den Beinen,
diesen Perpendikeln meines Herzens:
Kleine, merkst du,
was die Uhr geschlagen hat? -

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